Warbarrow Bay
Das Segeln macht heute besonderen Spaß und alle sind bester Stimmung. Chaja erledigt ihre Hausaufgaben und als das geschafft ist, gibt es Linzer Torte für alle. Wir freuen uns an der abwechslungsreichen Küste und dem Wind, der uns mit mindestens 7 kn Fahrt und ohne großen Seegang in Richtung Westen bläst. Die Poole Bay wird begrenzt durch die Isle of Purbeck, die im Westen mit St. Alban’s Head als ihrem spitzen Ende in den Englischen Kanal ragt. Die Seekarte sieht hier so aus und wir halten lieber mal 3 sm Abstand. Wie schon häufiger sehen wir andere Segler, die sich mehr trauen. Aber was soll’s, wir werden noch lange unterwegs sein und wollen unsere Abenteuerlust nicht durch unbedachte Aktionen ins Wanken bringen.
Auf UKW-Kanal 16 werden wir Ohrenzeugen eines Pan-Pan, also einer Dringlichkeitsmeldung, die im Verlauf dramatischer wird und schließlich in einem Mayday endet. Der Motor einer Motoryacht ist vor den Needles, die wir zwei Stunden zuvor passiert haben, ausgefallen und das Boot ist in der Strömung und Brandung manövrierunfähig. Der Funkkontakt reißt immer wieder ab und noch nach einer Stunden fragt die Küstenwache pausenlos nach, wie viele Menschen sich an Bord befänden. Boote in der Umgebung werden aufgerufen, sich zu nähern und die Yacht zu beschreiben, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Es ist beklemmend, die Anweisungen der Küstenwache zu hören: »Now is the time to push your Distress Button.« Schließlich scheinen die beiden SAR-Schiffe aus Portsmouth und Yarmouth das Boot erreicht zu haben und es wird auch auf Kanal 16, auf dem in der Zwischenzeit Funkstille herrschen musste, Entwarnung gegeben. Das »silence fini« klingt apokalyptisch, heißt aber nur, dass alle wieder funken dürfen. Es ist nicht gerade Angst, die aufkommt, aber doch ein erneuertes und etwas unruhiges Bewusstsein darüber, dass wir auf einem Stückchen Holz auf einem wilden Ozean unterwegs sind…
Über unseren heutigen Zielort diskutieren wir lange. Alfred möchte eigentlich Meilen machen, aber es bietet sich in noch komfortabler Entfernung/mitlaufendem Tidenstrom kein Hafen so richtig an. Gezeitensegeln macht uns manchmal einen Knoten ins Gehirn… Schließlich ist Alfred leicht vom Ankern in der nahen Warbarrow Bay zu überzeugen, die im Imray Channel Pilot sehr verlockend aussieht. Als wir nachmittags ankommen sind schon drei andere Ankerlieger da und der Strand ist von einzelnen Wanderern bevölkert. Die Bucht ist nicht tief, aber die See ist ruhig und wir freuen uns auf den idyllischen Abend. Es gibt Rindswürstchen mit Kartoffelsalat zum Abendbrot, was die Stimmung an Bord noch weiter hebt. Chaja hat dem Skipper die Erlaubnis abgerungen, dass sie mit ihrem neuen Klettergerüst die ebenfalls neuen Maststufen erklimmen darf und schaukelt schließlich triumphierend über der ersten Saling. Als der gemütliche Teil des Abends beginnt, tönt ihr Ruf: »Ich bin schockiert!« über Deck. Sie hat neben unserer Bordwand zwei riesige Quallen entdeckt, die größere ist sicher über einen Meter lang. Später finden wir heraus, dass es sich um Lungenquallen gehandelt haben muss.
In der Abendsonne bauen wir unsere Deckshängematte zum ersten Mal auf. Zwischen Vorstag und Mast ist gerade genug Platz, wenn wir sie mit dem Gennakerfall am Vorstag etwas nach oben ziehen. Johannas romantische Abendstimmung in der Hängematte wird zwar jäh durch eine wilde Toberei gestört, aber schließlich kehrt Ruhe ein und wir lesen an Deck die Gute-Nacht-Geschichte. Ein wunderschöner Tag geht zu Ende.
Die Nacht ist ruhig und wir werden nur sanft geschaukelt. Am nächsten Morgen stehen Johanna und Alfred zeitig auf, denn ab 9 Uhr wird im Lulworth Gunnery Range, in dem wir uns befinden, geschossen werden und wir brauchen zwei Stunden, um dessen Außengrenze zu passieren. Es gibt wohl einen komplizierten Plan, dem zu entnehmen sein soll, wann die Army vom Land in Richtung See schießt, wann die Navy von See aus das Land beschießt und wann die jährlichen »six firing weekends« sind. Wir finden das alles wenig beruhigend und verlassen das Gebiet pünktlich. Genauso pünktlich segelt eine entgegen kommende Yacht in das Schießgebiet hinein und wir beobachten etwas schadenfroh und vollkommen rehabilitiert, wie ein Schnellboot der Range Controll die Verfolgung aufnimmt.