Wir verlassen um 5 Uhr morgens in der Dämmerung den Hafen in Ramsgate. Chaja schläft unbeeindruckt weiter. Der Wind ist eher schwach und legt sich schließlich fast ganz, so dass wir den Motor anwerfen müssen. Dennoch haben wir eine abwechslungsreiche Fahrt. Wir beobachten etwas entgeistert die unverdrossen badenden Engländer am Strand des Kernkraftwerkes Dungerness – ein wahrlich gespenstischer Anblick. Etwas später bekommen wir Besuch: ein irgendwie offiziell aussehendes Schnellboot mit der Aufschrift Royal Navy Range Controll kommt längsseits und uns wird mit einem Pappschild gewunken: „VHF 64“, heißt soviel, wie dass sie auf Kanal 64 mit uns funken wollen. Dort bekommen wir auf ausgesucht höfliche Weise verklickert, dass wir uns in einem Schießübungsgebiet befinden, in dem gleich mit life ammunition geschossen werden wird. »You should rather…« – was wir tun… Chaja wird mit einem fröhlichen Winken verabschiedet und wenig später donnert und wummst es in einiger Entfernung ganz deutlich und sehr lange.
In Eastbourne legen wir hinter den Schleußentoren der großen, neuen und etwas retortigen Souvereign Marina an. Chaja erobert den Steg und entdeckt außer riesigen Fischen im Hafenbecken, die sie glücklicherweise erfolglos mit ihrem Strandkescherchen zu erwischen versucht, auf dem schwedischen Nachbarboot eine Bordkatze. Das facht den Evergreen aller Diskussionen an: Wann kann sie ein Haustier haben? Dass Alfred mit unheilschwangerer Stimme berichtet, er habe gelesen, das mit Bordkatzen ginge oft schlecht aus, sie fehlten irgendwann auf hoher See einfach, macht keinen entscheidenden Eindruck. Nun ja, nicht alles ändert sich mit Antritt einer Weltreise…
Wir speisen ein Dreigängemenü im Cockpit und erkunden den Hafen. Chaja erklimmt die untere Etage einer etwa vier Meter hohen Hochseetonne, die auf dem Trockenen liegt. Daraufhin kommt der Hafenmeister auf den Balkon seines Häuschens und äußert formvollendet und very british: »I’d rather she wouldn’t be up there« - ein Wunsch, den wir ihm unverzüglich erfüllen. Ein sehr netter pakistanischer Taxifahrer bringt uns von der etwas abgelegenen Marina in das Ortszentrum. Während der 10-minütigen Fahrt erfahren wir allerhand Interessantes über Eastbourne und ihn. Außerdem legt er uns ans Herz, uns unbedingt Beachy Head, die Klippen westlich der Stadt anzusehen. Wir bummeln etwas, besuchen die Seebrücke, nehmen eine Sussex Tea Time, bestehend aus Tee, Clotted Cream und Scones, ein und erstehen Einhorn-Kaka in der Dose. Auf diese Weise erwischen wir leider erst spät den Bus in Richtung besagter Klippen und merken bald, dass es reichlich frustierend ist, mit der letzten Tour eines hop-on-hop-off Buses zu fahren… Dennoch macht die Rundfahrt Spaß. Die Klippen, die senkrecht aus einer weiten, grasbewachsenen Landschaft abfallen, sind sehr eindrucksvoll. Eine kleine benachbarte Siedlung historischer Gebäude ist schon merklich geschrumpft, weil immer wieder Häuser an der Abbruchkante abgebaut werden müssen. Wir fahren in einer großen Runde durch das wirklich idyllische Hinterland, vorbei an Gutshöfen, Pferdegestüten und kleinen Weilern mit spitzgiebeligen Häusern. Die Straßen sind von Bäumen gesäumt, deren Äste gegen den Bus trommeln, und führen in steilen Kurven bergauf und bergab. Aus der Soundanlage des Buses werden uns den Text untermalende O-Töne mit Schafblöken, Wasserklatschen (Abbruchkante!) und Vogelgezwitscher vorgespielt – heute sind wir Touris durch und durch.
Am nächsten Tag können wir ausschlafen, weil die Strömung erst gegen Mittag in unsere Richtung dreht. Beim Ausschleußen passieren wir die drei niedlichen Seehunde, die wir jeden Mittag im trocken gefallenen Vorbecken des Hafens beobachtet haben. Ein schöner Abschied aus Eastbourne.