Über die Biskaya nach Galizien
Alfred kocht am Abend vor dem Ablegen einen großen Topf Linsensuppe vor und wir gehen früh schlafen. Am nächsten Morgen legen wir um 6:30 Uhr ab. Die nächsten vier Stunden bleibt die bretonische Küste noch in unserer Nähe. Sie ist wunderbar zerklüftet und wild – une für die Schiffsfahrt seit jeher anspruchsvoll, wie alleine die Anzahl der Wracks in der Seekarte und die der großen Leuchtfeuer unmittelbar anschaulich machen. Schließlich liegt Pointe du Raz backbord querab und vor uns nur noch die offene Biskaya. Der Wind ist etwas schwächer als vorhergesagt, wir fahren sogar gelegentlich eine Weile unter Motor, wenn die Segel anfangen zu schlagen. Schade ist dabei, dass auch nachts die Windverhältnisse sehr wechselhaft sind, so dass der/die Wachhabende regelmäßig Unterstützung braucht. Auch das Ausgucken hält uns zu Beginn auf Trab, denn sogar wenn unser Echolot Tiefen von über 100 m anzeigt, stoßen wir regelmäßig auf Fischerbojen, die am Grund ausgelegte Hummerfallen markieren. Schließlich erreichen wir die berühmt-berüchtigte Kante, an der der Meeresboden innerhalb ganz weniger Seemeilen von etwa 100 auf bis zu 4700 m abfällt – eine der dramatischsten Landschaften Europas, nur eben unter Wasser gelegen. Bei raueren Bedingungen als wir sie haben, türmen an dieser Linie die Wellen auf und der Seegang kann hier gefährlich werden. Wir können jedoch gar keinen Unterschied ausmachen und sind froh über unser gewähltes Wetterfenster.
Wir nehmen das Wachsystem des vorherigen Schlages wieder auf. An den Rhythmus von Wachen, Schlafen, Essen machen gewöhnen wir uns aber jetzt viel schneller als bei der Kanalquerung – das macht uns Mut für die bevorstehenden Tausenden von Seemeilen auf dem Atlantik und dem Pazifik. In den nächsten Tagen sehen wir oft Delfine und freuen uns jedes Mal. Johanna hat Glück und sieht einen Minkwal, der unberirrt blasend seine Bahn nach Norden zieht. Wir erleben sagenhafte Sonnenuntergänge (Alfred und Winne, denn Johanna schläft schon) und Sonnenaufgänge (Johanna und Alfred, denn Winne schläft noch) und in tiefster Dunkelheit einen sagenhaften Sternenhimmel. Jede Wache hat ihre besonderen Momente. Während Johannas frühmorgendlichen Wachen freut sie sich auf Venus, die in diesen Nächten etwa drei Stunden nach Mondaufgang mit geradezu raketenhafter Geschwindigkeit vom Horizont aufsteigt. Gegen 5 Uhr ist dann ein ganz schwacher Schein am südöstlichen Horizont zu sehen – die Sonne kommt. Die mehr als zwei Stunden bis zum Sonnenaufgang etwa um 7:10 Uhr ziehen sich allerdings scheinbar unendlich hin – es ist kalt in den Nächten, trotz mehrerer Schichten Kleidung einschließlich Ölzeug.
Um 12 Uhr am dritten Tag kommt die galizische Küste in Sicht – ¡Hola Espania!. Wir steuern die Rìa de Viveiro an, eine der tiefen, engen Buchten, die für Galizien typisch sind. Zunächst fahren wir an einer stinkenden Fischfabrik vorbei. Doch durch den nachmittäglichen Landwind wird die Bucht verschont. Und schließlich fahren wir um 17:30 Uhr in den Hafen von Viveiro ein. Wir werden an einem freien Liegeplatz von einer Hafenmitarbeiterin erwartet, und das obwohl wir uns nicht angekündigt haben – man hält hier zuverlässig Ausguck. Auch sonst wird hier durchgreifend kontrolliert: Im Hafenbüro werden sämtliche Schiffsdokumente, einschließlich der Pässe der gesamten Besatzung, penibel unter die Lupe genommen. Das ist ganz neu für uns. Die Marinaanlage selbst unterstreicht den ganzen Eindruck noch, denn die Stege sind einzeln mit massiven Metalltoren einschließlich Übersteigschutz gesichert. Man fragt sich direkt, was um Himmels willen hier so gefährlich sein könnte. Und zum Überwachungsszenario gehört natürlich auch die guardia civil, die mit einem großen Boot, das Tag und Nacht bemannt ist, im Hafen liegt.
Wir sind trotzdem glücklich, in diesem schaukelfreien, sonnenwarmen Hafen zu liegen. Nach einem Nickerchen erkunden wir das kleine Städtchen. Es hat einen sehr schönen historischen Ortskern mit quicklebendigen Gassen. Es gibt eine ganze Reihe Mode- und Schuhläden, viele Cafés und Bars, aber daneben wohnen Leute, hängen ihre Wäsche raus und sitzen im Schatten auf der Treppe. Ab etwa 17 Uhr öffnen nach der Siesta die Läden wieder und es wird bis spätabends richtig trubelig. Auch wir streifen an den Abenden durch die Straßen, gehen spät, aber immer noch früher als die Einheimischen, essen und bummeln durch die Läden. An einem Tag fahren wir mit der Schmalspurbahn die bergige Strecke an der Küste entlang in Richtung Osten und steigen in Foz aus. Wir entdecken merkwürdige historische Häuschen, die wohl zum Trockenen von was auch immer – im Zweifelsfall Fisch – gedient haben müssen. Den einzigen Zug zurück nach Viveiro verpassen wir, stolpern aber mit schlafwandlerischem Geschick in die estación de autobuses, wo drei Minuten später der Bus nach Viviero abfährt. Mit dem geraten wir in eine Polizeikontrolle – Spanien lässt nicht nach!
Draußen auf der Biskaya zieht derweil mit Windstärken bis 8 das Tief durch, das uns zu unserem Zwischenstopp in Viveiro veranlasst hat. Wir sind froh, in Sicherheit zu sein und hören betroffen über UKW Kanal 16 den Notruf eines Bootes von draußen mit »un enfant, un adult« an Bord. Der SAR-Helikopter, der wenige hundert Meter entfernt stationiert ist, fliegt kurz darauf auf und tut das noch zweimal an diesem Tag und einmal in der Nacht. Uns lässt das nicht kalt.
Als das Wetter sich beruhigt hat brechen wir auf und freuen uns auf einen schönen Tagesschlag nach La Coruña. Oder vielmehr A Coruña, wir sind im stolzen Galizien!